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schmale hüften langer atem

Unknown

May 1999

INTRO

Publication:

Date:

Writer

Submitted by: Lenka Javůrková

schmale hüften / langer atem


Um die androgyne Tanzfläche haben sich Pulp mit “This Is Hardcore”, so ehrlich sollte man sein, doch mehr verdient gemacht als Suede mit ihrem Gesamtwerk. Und in bezug auf arty- und launisch-sein dürfte gegen das neue Blur-Album auch kein Stich zu machen sein. Was bleibt denn eigentlich noch übrig für Suede? Nachdem die prestigeträchtigsten Wanderpokale bei anderen im Schrank stehen. Neue Bescheidenheit? Auf keinen Fall, besser man besinnt sich auf die ureigenen Stärken. Aha, also Arroganz. Da läuft Suede so schnell niemand den Rang ab, möchte man meinen, wenn man dieser populären Charakterzuschreibung Glauben schenkt. Mit Glaube ist es aber so eine Sache. Und mit Arroganz erst recht. Denn jemanden als arrogant zu dissen resultiert doch immer wieder gern aus dem unguten Gefühl eigener Unterlegenheit.

Und wo sollte man sich Pop am ehesten unterlegen, wenn nicht in London? Hallo, Hauptstadt. Und der Name The London Suede paßt da gut ins Bild.

london.

Noch nicht mal Regen. Trotzdem sieht die Stadt ganz gut abgehangen aus. Ist doch Ehrensache, klar. Die Interview-Location mit Suede wurde verlegt. Statt des geplanten 'meet us at the studio’ und feuer die Band an, während sie die letzten >>uuuhs<< und >>aaahs<< auf die Hooks ihrer Hedo-Kracher einsingt, erwartet die Band in einer angemieteten Hotel-Lounge. Ihr gutes Recht. Das Album steht schon. Und das Studio will vorerst keiner mehr von innen sehen. Jetzt wird nur noch geraucht, geredet und geerntet. Schließlich liegt der längste Studio-Aufenthalt der eigenen Historie hinter Suede.


secret service.

Sänger Brett Anderson sieht fertig aus. Aber nicht richtig fertig. Er interpretiert sein role-modell des arroganten, schmalhüftigen Sängers sehr gelassen, liegt mehr auf der Couch, als daß er sitzt, und der einzig divaeske Ausdruck bleibt gelegentliches Unterbrechen jeglichen Gesprächs durch Einwürfe, die wahlweise 'need a cigarette’ oder 'need a break’ lauten. Her mit Ruhe und Rauchen, so diskret kann Hedonismus sein, wenn er auf die vulgären Eckpunkte wie Fressen und Petting verzichtet. Nimmt man Hedonismus auch als Maßgabe für die Musik, läßt sich sagen, daß Suede sich mit ihrem gerade fertiggestellten vierten Album selbst übertroffen haben. Songs wie 'She’s In Fashion’ treiben es fast zu weit mit der Stilsicherheit im eigenen Kosmos.

'Head Music’, so heißt das Werk, zwischen dem und dessen Vorgänger 'Coming Up’ mittlerweile auch schon fast drei Jahre liegen, und es besteht kein Zweifel, daß Suede immer noch Suede sind. Selbst der Titel des Albums scheint auf den seines Vorgängers zu referieren (Come up / head on). Oder wie Anderson es beschreibt: 'Lots of things changed the last years, but we didn’t put down anything.’ So hat er es gesagt. Vermutlich. Denn Anderson zuzuhören unter dem Aspekt des komplett Verstehen-Wollens wäre selbst für austrainierte Logopäden eine Nummer zu groß. Anderson sitzliegt auf der Couch und teilt tonlos fragmentarische Sätze aus, die darunter leiden, daß er den Mund nicht so recht öffnet. Das Dilemma, daß Suede so Gefahr laufen, immer irgendwie und an entscheidenden Stellen falsch zitiert zu werden, räumen die übrigen Mitglieder geschickt aus. Ganz nonchalant ergänzen sie Andersons Antworten und paraphrasieren dabei eigentlich nur seine Worte - von denen sie selbst ausgehen, daß ein Außenstehender sie niemals völlig verstanden haben kann. Secret dolmetschen. Der extrovertierte Künstler redet, die Band regelt. Suede mit Charakterzügen einer präsidialen Demokratie. Zumindest trägt das Kollektiv den Star, an den Instrumenten und darüber hinaus. Richtig anheimelnd.

the power of.

Draußen hat es mittlerweile endlich zu regnen begonnen. Wegen London. The power of Klischees. Suede indes diskutieren derweil die hohen Erwartungen, mit denen ein Output ihrerseits schon von Anfang an konfrontiert wird. Seit 1992. 'Sicher war das damals ein Start [lanciert durch hyperaktive britische Pop-Presse], dem wir viel zu verdanken haben. Aber deshalb mußten wir uns jahrelang damit auseinandersetzen, daß die Leute in uns den Hype sahen. Und offenbar verlangten, daß wir auf die Nase fallen. Das hatte sich erst mit dem dritten Album erledigt. Jetzt werden wir zumindest an uns gemessen und nicht mehr an irgendeinem fucking hype.’ Was die Sache ja nicht unbedingt einfacher macht. Zumal Hits wie die vergangenen 'Beautiful Ones’, 'Stay Together’ oder 'Trash’ erst mal getoppt werden müssen. Das wissen Suede selbst, geben sich aber außerordentlich entspannt. Ihr Material ist im Kasten und das Vertrauen darin auch. Das Klischee, das zu dieser Platte, zu dieser Phase der Band gut gepaßt hätte, haben sie am langen Arm verhungern lassen. Denn bei aller Kontinuität im Songwriting wäre zu erwarten gewesen, daß als neuer Aspekt ein wenig mehr Modernism zum Zug kommt. Also sexy Hedo-Kracher unter dem Eindruck elektronischen Ambientes, Beats, Bleeps and Clonx. Die zeitgemäße Strategie für Pop-Multis. Davon will 'Head Music’ gar nichts wissen, viel eher stocken Suede ihren Rock-Appeal noch mal auf. Obwohl, 'an einigen Stellen haben wir Sounds und Stimmungen so verwendet wie auf keiner Platte zuvor. 'Hard Files’ zum Beispiel besitzt eine aggressive Aura und Umsetzung - das war selbst für uns neu, als wir hörten, wie wir dabei klingen. Aber über all dem steht: es ist wichtig, die Band zu sein, die man ist.’

be yourself.

Immer wieder neu, immer wieder gleich. Aber 'yourself’, wer ist das in diesem Fall eigentlich genau? Und zwar vor allem, wenn die Verstärker ausgemacht werden? Anderson nämlich kokettierte in einem Interview vor einiger Zeit ziemlich verstörend mit einer Options-Homosexualität. 'I’m a bisexual man who has never had a homosexual experience.’ Also doch die androgyne Tanzfläche im Blick? Die Distinktion Mann/Frau verläuft sich im coolen Style ganz von selbst. Davon erzählt 'Head Music’, wenngleich die Realität anders aussieht, näher am Status quo liegt. Das Internet spricht in bezug auf private life von langjährigen girlfriends der Herren bis auf Drummer Simon Gilbert. Zu all dem will Anderson sich nicht äußern. Die Frage 'wie geht es weiter 2000, making families?’ soll es durch die Hintertür richten. Anderson schaut daraufhin, als habe man gefragt, ob er glaube, daß noch diesen Monat Kolonien auf dem Mond errichtet würden. Heißt wohl: den Familienspießer verbitte ich mir. Arrogant, bisexuell - das läßt man sich ja noch gefallen, wohingegen bei Hausbackness der Spaß aber aufhört.

represent.

Suede brauchen keine Hilfe. Mit 'Head Music’ werden sie als das rezipiert werden, was sie sind, was sie gerne sind. Sexy und Glam. Wem solche aufreizenden und plakativen Issues nicht geheuer sind, der wird sie weiterhin als arrogant o. ä. abtun. Aber in Wahrheit sind sie zwischen all dem Glamour-Represent eigentlich nur müde. Nach dem Gespräch erscheint ein Mann der Plattenfirma mit dem Anliegen, auf den folgenden Fototermin überzuleiten. Anderson spricht daraufhin zum ersten Mal laut und deutlich. 'Need a break!’
Wer nicht?

Pop-up: Wieso The London Suede?
Kurz nach dem Release der ersten Suede-LP in den Staaten, trat Suzanne DeBronkart, Country/Folk-Künstlerin aus Washington, auf den Plan: sie ist für die USA im Besitz der Rechte an dem Namen Suede - und trotz aller Bemühungen nicht bereit, diese abzutreten. So blieb nichts übrig als der Kompromiß 'The London Suede’. Den Namen 'Suede’ darf die Band in den USA erst dann führen, wenn DeBronkart sich zur Ruhe setzt - oder es einfach erlaubt. Doch da sie von erbosten Suede-Fans mit hate-mails bombardiert wurde, ist ihre Kooperationsbereitschaft nur weiter gesunken.

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